Vom allmählichen Vergehen der schönen Natur

Nachdem wir Mr. Williams verlassen hatten, setzten wir unseren Weg quer durch den Wald fort. Von Zeit zu Zeit tauchte ein kleiner See (diese Gegend ist voll davon) auf wie eine silberne Decke unter dem Blätterdach des Waldes. Es fällt schwer sich den Zauber auszumalen, der diese schöne Gegend umgibt, an der der Mensch noch nicht sein Lager aufgeschlagen hat und wo noch immer ein tiefer Frieden und eine durch nichts gestörte Stille herrschen. Ich habe in den Alpen furchterregende Einöden durchwandert, wo sich die Natur der Arbeit des Menschen widersetzt, aber sie entfaltet selbst noch in ihren Schrecken eine Größe, die die Seele bewegt und begeistert. Hier ist die Einsamkeit nicht weniger ausgeprägt, aber es erwachsen daraus nicht dieselben Vorstellungen. Die einzigen Gefühle, die man empfindet, wenn man diese blühende Wildnis durchstreift wo alles, wie in Miltons Paradies, vorbereitet ist für die Ausbreitung des Menschen, sind demütige und melancholische Stimmungen, ein unbestimmter Abscheu gegenüber dem zivilisierten Leben; eine Art von Wildnisinstinkt, der einen mit Trauer bedenken lässt, dass schon bald diese köstliche Einsamkeit ihr Aussehen ändern wird. In der Tat rückt die weiße Rasse durch die umgebenden Wälder vor und in einigen wenigen Jahren wird der Europäer die Bäume gefällt haben, die sich im kristallklaren Wassern der Seen spiegeln und das Wild, das ihre Ufer bevölkert hat, in neue Wildnisse gezwungen haben.
Deutsch von Robert Seidemann

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Über die ästhetische Erfahrung schöner Landschaft als Heimat

Über die Bedeutung der schönen Landschaft für ein gutes Leben.

Prof. Angelika Krebs vom Philosophischen Seminar der Universität Basel stellte ein Gedicht an den Anfang ihres Vortrags am 5.11.2014, der im Rahmen der Philosophische Wintervorträge 14/15 des Philosophischen Seminars der Georg-August Universität Göttingen stattfand.

„Und was da war, es nahm uns an, verloren ging, was streifte noch als Lächeln bald die Frage, ob, denn wo sie war, so nah verzweigt, war Früchten gleich, die reiften, fiel, was schön war, groß, was ungetrübt, es war ein Weg, ein Duft, und was durchs Laub als Luftzug fuhr, das war ein Sehen, war wie Wut, erinnert schon als Lust und schau, wie standen wir am See im Licht, da voll die Dolden, da der Tag uns fast umfing, mit Armen, die wie trunken noch erblühten dann und sanken, süß und mild“

Michael Donhauser, Variationen in Prosa, Berlin, Matthes&Seitz 2013, S.7

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Abendstimmung am Bodensee

Die gütige Stimmung am See ist ein nicht ersetzbarer Teil eines guten menschlichen Lebens. Sie ist nicht optional sondern fundamental. Natur kann nicht lediglich instrumentell als Ressource verstanden werden, die schöne Natur hat unter dem Aspekt eines Ich-Du Verhältnisses einen Eigenwert. Wir brauchen die schöne Natur, um gut zu leben. Die Natur hat dadurch einen moralischen Wert. Weiterlesen „Über die ästhetische Erfahrung schöner Landschaft als Heimat“

Erkenntnis des Erhabenen in der Natur bei einer abendlichen Kanufahrt am Seginaw

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Telemark, Norwegen

Dieser Text spricht mir persönlich aus der Seele, insofern ich als Paddler die angesprochene Erfahrung schon selbst machen konnte. Mein deutscher Text reflektiert deshalb auch das, was ich dabei erfahren habe. Zu welch unglaublicher Nuancierung und Feinheit der Formulierungen der Reisende fähig war, kann man an diesem einen einzigen Satz ersehen. Da hilft beim Übersetzen nur eins: auseinandernehmen.

« Qui peindra jamais avec fidélité ces moments si rares dans la vie où le bien-être physique vous prépare à la tranquillité morale et où il s’établit devant vos yeux comme un équilibre parfait dans l’univers, alors que l’âme, à moitié endormie, se balance entre le présent et l’avenir, entre le réel et le possible, quand, entouré d’une belle nature, respirant un air tranquille et tiède, en paix avec lui-même au milieu d’une paix universelle, l’homme prête l’oreille aux battements égaux de ses artères dont chaque pulsation marque le passage du temps qui pour lui semble ainsi s’écouler goutte à goutte dans l’éternité. »

Philosophisch betrachtet ist die Passage ein wunderbares Beispiel für die Erkenntnis des Erhabenen. Das den Betrachter erhebende an der Schönheit der Natur ist das durch die Betrachtung ausgelöste Gefühl der Unendlichkeit, wo allein unsere Erkenntnis sich ästhetisch dem Absoluten und wenn man so will göttlichen für kurze Augenblicke nähert.

Tocqueville schildert ausführlich die Mittelbarkeit des Gefühls dieser Überwältigung, wobei er den Kreis der Allgemeinheit einschränkt: Wie sollen Menschen, die entsprechende Regionen gar nicht kennen, also sozusagen keine Paddler sind und nie sich der Wildnis näherten, ein solches Empfinden jemals haben können? Die Abwesenheit klarer Begriffe erklärt er mit einer vermeintlichen Unzulänglichkeit der Sprache. Dabei ist es doch stets diese Erfahrung und niemals das begriffliche Denken, was uns zu ästhetischen Urteilen berechtigt. Das Fehlen der Begriffe begründet das Urteil: „Schön ist, was ohne Begriff allgemein gefällt.“ (Kant, Kritik der Urteilskraft, §9/ S.879). Wie immer in solchen Situationen fehlen ihm die Worte, weil er etwas ausdrücken möchte, für das die Sprache und das Denken in Begriffen weitestgehend ungeeignet ist.