Prof. Angelika Krebs vom Philosophischen Seminar der Universität Basel stellte ein Gedicht an den Anfang ihres Vortrags am 5.11.2014, der im Rahmen der Philosophische Wintervorträge 14/15 des Philosophischen Seminars der Georg-August Universität Göttingen stattfand.
„Und was da war, es nahm uns an, verloren ging, was streifte noch als Lächeln bald die Frage, ob, denn wo sie war, so nah verzweigt, war Früchten gleich, die reiften, fiel, was schön war, groß, was ungetrübt, es war ein Weg, ein Duft, und was durchs Laub als Luftzug fuhr, das war ein Sehen, war wie Wut, erinnert schon als Lust und schau, wie standen wir am See im Licht, da voll die Dolden, da der Tag uns fast umfing, mit Armen, die wie trunken noch erblühten dann und sanken, süß und mild“
Michael Donhauser, Variationen in Prosa, Berlin, Matthes&Seitz 2013, S.7

Die gütige Stimmung am See ist ein nicht ersetzbarer Teil eines guten menschlichen Lebens. Sie ist nicht optional sondern fundamental. Natur kann nicht lediglich instrumentell als Ressource verstanden werden, die schöne Natur hat unter dem Aspekt eines Ich-Du Verhältnisses einen Eigenwert. Wir brauchen die schöne Natur, um gut zu leben. Die Natur hat dadurch einen moralischen Wert.
Der Begriff der Landschaft wurde als größere räumliche Einheit in der Natur definiert, wobei die Natur nach Aristoteles das ist, was nicht vom Menschen gemacht wurde. Die Übergänge sind dabei fließend: vom Wald über den Park bis hin zum Garten. Das Grundlegende ist die sich verändernde, belebte Natur. Als Gegenpol dazu steht das Artefakt: z.B. die: Autobahn, das Windrad oder die Architektur.
Was gibt nun der Landschaft die Einheit? Es ist die Stimmung, die sie im Betrachter auslöst. Das Naturschöne zeigt sich in der sinnlichen Anschauung als wohl proportioniert. Es ist wie bei Kant die Zweckmäßigkeit ohne Zwecke und bezieht sich kausal auf den inneren Zweck, nämlich Lust auf Grund des harmonischen Spiels von Verstand und Einbildungskraft hervorzurufen. Lust und Harmonie entspringen dabei der Ordnung und dem inneren Gefüge des Schönen. Kant, KdU §17 / S. 892 „Schönheit ist Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstands, sofern sie, ohne Vorstellung eines Zwecks, an ihm wahrgenommen wird“
Es ist eine holistische Sicht der Welt, mit der wir uns als Menschen in die Welt integrieren. Es sind Grundstimmungen, mit denen wir in der Welt sind. Es gibt einerseits echte, welterschließende Stimmungen und künstliche Stimmungen. Mittels Alkohol gelangen wir schnell in eine tolle Stimmung, aber sie ist unecht und falsch. Ähnlich steht es mit dem stereotypen Ölgemälde mit Berg und Hirsch als einer Form von Kitsch. Die Landschaft umgibt eine Aura: sie ist friedlich, düster oder beklemmend. Auch die Physionomie der Landschaft fließt ein: Berge, Klima und Geschichte. Autobahnen und Windräder können den Charakter einer Landschaft zerstören, sie zum Nichtort machen. Es ist dann nicht mal mehr eine Landschaft.
Wie kommt aber die Stimmung in die Landschaft? Es finden sich Gründe bzw. Modelle dafür, dass die Stimmung in die Landschaft kommt. Beim kausalen Modell wirkt sie auf uns ein, die friedliche Landschaft beruhigt. Beim assoziativen Modell erkenne ich, sie ist nicht selber friedlich, ich muss sie beschreiben, näher rangehen. Das animistische Modell sieht sie belebt, stellt sie sich mit Geistern und Elfen bevölkert vor, eine Landschaft wie sie Kinder sehen. Komplexer ist das expressionistische Modell nach Moritz Geiger und Roger Scruton. In Anlehnung an Scrutons “The Aesthetics of Music” (1997) werden drei Ebenen angenommen. Es ist dies zunächst die physikalische Ebene, die der Licht- und Schallwellen in der Landschaft oder der Töne in der Musik sowie der Pigmente in der Malerei umfasst. Auf der nächsten Ebene sind die Phänomene angesprochen: der Klänge und Melodien. Schließlich die dritte Ebene als die beim Betrachter oder Zuhörer ausgelöste emotionale Kraft wie bei Bachs Goldberg Variation, Bruckners 8.Symphonie oder Wagners Tannhäuser. Es sind quasi die beim Zuhören oder Betrachten ausgelösten Vorstellungen als Metaphern des menschlichen Lebens. „Because we are subjects, the world looks back on us“ (Scruton). “When the world looks back at me with my eyes, as it does in aesthetic experience … revealed to me in the experience of beauty is a fundamental truth about being—that being is a gift”
Die Stimmung ist also immer in uns, man tritt hinein, es ist das Ich draußen in der Landschaft. Der Erhalt dieser Schönheit ist für Menschen wichtig, es ist eine begründete Berechtigung, dies zu fordern. Wir nehmen Natur synästhetisch auf, d.h. mit allen Sinnen. Es ist das leibliche Empfinden als notwendiger Teil der Erfahrung, von Geborgensein in der Welt. Immersion als Wahrnehmung der eigenen Person in der Welt, als Verschmelzung im Sinn von Martin Buber (vgl. „Ich und Du“). Diese Erfahrung ist unersetzbar in unserem Leben.
Als Gegenprobe bieten sich an: Poesie, Malerei und Architektur. Es überzeugt nicht, denn nur die Natur ist das „real thing“. Die blaue Blume der Dichter duftet und welkt nicht oder ist überhaupt nur verwelkt. Kann man die gemachte Welt einfach nur perfekt genug gestalten, also z.B. im Bereich der Architektur gut bauen? Kommentar dazu von Juhani Uolevi Pallasmaa, finnischer Architekt und Professor für Architektur an der Helsinki University of Technology, „the Eyes of the Skin – Architecture and the Senses” deutsch „Die Augen der Haut – Architektur und die Sinne“ Klassiker und weltweites Standardlehrbuch der Architekturtheorie. Seine Aussage: Die Architektur verbindet uns mit den Toten. Geht vielleicht eine PC Simulation: Wir wissen stets dass es gemacht, ergo falsch ist. Auch Windräder sind abgründig hässlich, die Horizontlinien werden aufgelöst, der Landschaftseindruch zerstört. Der Bezug der Menschen zu Ihrer Heimat geht verloren, bei deren Verlust sie dann auch nicht mehr für die Umwelt eintreten.
Literatur
Michael Donhauser, Variationen in Prosa, Berlin, Matthes&Seitz 2013
Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, hg. v. W. Weischedel, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1996
Roger Scruton, The Aesthetics of Music, Oxford University Press, USA; Neuauflage 1999
Juhani Pallasmaa, The Eyes of the Skin: Architecture and the Senses, 3rd Edition, John Wiley & Sons, 2012