Charlie Hebdo: war es Hara Kiri?

Hara Kiri war meine Lieblingszeitschrift in den 70er Jahren. Ich konnte sie nur gelegentlich kaufen, halt immer dann, wenn ich selber in Frankreich war. Und ich habe sie heute noch. Viele der Zeichnungen und Ideen stammten von den beiden Gründervätern von Hara Kiri: Jean Marc Reiser und dem gerade ermordeten Georges Wollinski. Als der Erfolg des eher einer Untergrundpostille gleichenden Hara Kiri immer größer wurde, entstand 1969 die wöchentlich erscheinende Hara Kiri Hebdo, die dann 1970 mit dem französischen Staat kollidierte. Die Regierung war über die Witze zur Beerdigung von Charles de Gaulle derart entzürnt, dass es zu einem Verbot der Postille kam. Dies brachte Wolinski und Co. dazu, Charlie Hebdo zu gründen. Ich habe meinerseits danach das Interesse und die Sammelleidenschaft verloren, sowas wie ein Abo wollte ich nicht haben. Die Grundhaltung war eine schonungslose Satire gegenüber jeder Form von Werten, Moralvorstellungen und Restriktionen. Das war in den 60ern natürlich vorrangig das sexuelle Empfinden. Die Bilder waren einfach nur abgrundtief geschmacklos aber auf diese Art über jede Form von Pornographieverdacht erhaben. An diesen Nackedeis konnte man sich nicht aufgeilen, das waren einfach Leute ohne Klamotten, die sich so über antiquierte Moralvorstellungen lustig machten. Neben Staat und Moral war stets auch die Kirche im Visier der Künstler: mal hing Jesus als Vaponastrip (Fliegenfänger) von der Decke, mal hatte der Papst den Hammer im Gesicht: Rücksicht wurde auf niemand genommen, man lebte ja schließlich in einem freien Land (Liberté!) und die Kirche war aus dem Staatswesen der Republik verbannt worden. Die Ausgabe Nr. 174 ziert auf der Vorderseite ein mit Apfelkuchen bedecktes weibliches Geschlecht mit der Headline „L‘église condamme la tarte au pommes“, während auf der Rückseite ein kräftig erigierter Penis in ein Schokoladenküchlein eingepackt ist „L´église condamme la tarte au pommes et l’éclair au chocolat“.  Zwischendurch wird das Jesus Phone (ein Vorläufer vom I Phone) angebetet, es bleibt nichts verschont. Werbung gibt es schlichtweg gar nicht, nur den Hinweis auf die Schwesterzeitschrift Charlie mensuel für 7F am Kiosk.

Die Komik von Wollinski et.al. bringt mich noch heute zum Lachen. Sie entfalten sich völlig frei, nutzen die Pressefreiheit bis zum Äußersten, gehen über jede Schamgrenze sorglos hinweg. Das war im Frankreich des ausgehenden 20 Jahrhunderts der Stand der Dinge, wurde durch die Bevölkerung getragen, die einfach mitlachte oder den Blödsinn ignorierte.

Völlig anders als auf den aufgeklärten Leser eines freien, demokratischen und republikanischen  Staates muss derselbe Nonsens auf einen gläubigen Muslim wirken. Er hat sich seinem Gott und dessen Propheten unterworfen und wenn dieser im Fall der Beleidigung nach Rache verlangt, dann folgen in letzter Konsequenz auch Taten. Diese Morde basieren ohne jeden Zweifel auf dem Islam und der Koran liefert die Begründung. Letztlich wissen wir aus unserer europäischen Geschichte genau, welch unsägliches Leid Religion verursachen kann. Der katholischen Kirche sind in dieser Hinsicht nach endlosen Kämpfen die Krallen gezogen worden: da ist niemand mehr vogelfrei, nur weil er exkommuniziert wird (Beispiel Luther). Ein Aufruf zum Krieg (Kreuzzüge), die Anstiftung zum Völkermord (Katharer und Albigenser) oder der Definition von Menschen anderer Hautfarbe oder Rasse als Nichtmenschen (Afrikaner, Sklaven und indigene jeglichen Erdteils) kann und darf eine christliche Organisation inzwischen nicht mehr ausrufen. Anders sieht das in der islamischen Welt aus. Wir sehen uns mit einer Religion konfrontiert, die dem Stand des Christentums im Mittelalter entspricht. Sendungsbewusstsein, politischer Machtanspruch (Gottesstaat, Islamische Republik Iran) und die Gegenwärtigkeit im Alltag (Kleidervorschriften wie das Tragen von Burka oder Jilbab, haustierartige Haltung von Frauen, das grausame Schächten von Tieren) sind Zeichen dafür. Wenn wir die Grundwerte des Islam tolerieren und akzeptieren, können wir auch argumentieren, die Leute von Charlie Hebdo haben schlichtweg Hara Kiri begangen, sie haben Ihre Ermordung einfach provoziert, das Attentat war gewissermaßen zwangsläufig. Folgen wir diesem verständnisvollen Pfad, so wird uns nichts anderes übrig bleiben, als zum Schutz der Bürger die noch bestehenden Grundrechte im Hinblick auf religiöse Befindlichkeiten der dem Islam unterworfenen Menschen einzuschränken: Keine Bilder von Gott und seinem Propheten in Zeitschriften oder dem Internet und umfangreiche Strafen für blasphemische Witze wären einige der Konsequenzen. Die Pressefreiheit wird dann nicht nur faktisch eingeschränkt (die dänische Zeitung aus Aarhaus, die bereits in die Ziellinie von solchen Rächern gekommen war druckt dergleichen auch jetzt nicht ab), die Meinungsfreiheit ebenso und am Ende würden die Moralvorstellungen derjenigen umgesetzt, die uns da terrorisieren. Dieser Anschlag galt deshalb allen, die in einem aufgeklärten und laizistischen Europa frei leben möchten. Die Glocken in Paris schlagen heute, am 11.Januar, 2015 für mich.