Menschenwürde

Ein Begriff im Wandel der Zeiten: Menschenwürde. Wie hat er sich entwickelt? Was bedeutet er uns heute?

Prof. Dietmar von der Pfordten, Philosophische Abendvorlesung am 4.11.15

Begriffe der Menschenwürde – Handout zur Vorlesung

Man muss zwischen wenigstens vier Teil-Begriffe von der Menschenwürde unterscheiden: einer großen, einer kleinen, einer mittleren und einer ökonomischen würde.

  1. bei der großen Menschenwürde handelt es sich um eine nichtkörperliche, innere, im Kern unveränderliche, notwendige und allgemeine Eigenschaft des Menschen, wie sie in einer ersten, noch wenig reflektierten Form bei Cicero auftauchte, vor allem vom Christentum weiter getragen und dann nach ersten Ansätzen in der italienischen Renaissance insbesondere von Kant als Selbstgesetzgebung bzw. Selbstbestimmung konkretisiert wurde. Diese große Menschenwürde lässt sich so der hier unterbreitete Vorschlag am besten als Selbstbestimmung über die eigenen Belange verstehen.
  2. mit der kleinen Menschenwürde ist dagegen die nicht körperliche, äußere, veränderliche Eigenschaft der wesentlichen sozialen Stellung und Leistung eines Menschen gemeint, wie sie auf eine herausgehobene soziale Position eingeschränkt bereits mit dem lateinischen Ausdruck Dignitas bezeichnet wurde.
  3. als Grenzfall der kleinen Würde kennt man seit Samuel von Pufendorf im 17. Jahrhundert noch eine mittlere Würde. Auch sie bezieht sich auf die äußere Eigenschaft der wesentlichen sozialen Stellung der Menschen, betont aber die natürliche und damit im Prinzip unveränderliche Gleichheit dieser sozialen Stellung aller Menschen.
  4. schließlich fordern im 19. Jahrhundert insbesondere Vertreter der sozialistischen Bewegung ein menschenwürdiges Dasein. Damit wurde die Verwirklichung ökonomischer bzw. materieller Voraussetzungen der Menschenwürde verlangt. Man kann insofern abkürzend von einer ökonomischen Würde, genauer von einer ökonomischen Würdebedingung sprechen.Alle vier Teilbegriffe der Menschenwürde haben eine Gemeinsamkeit: es handelt sich jeweils um eine Bezugnahme auf eine nicht körperliche Eigenschaft des Menschen. Auf dieser Gemeinsamkeit bauen die erwähnten Unterschiede auf. In dem Ende November 2015 bei CH. Beck erscheinende Buch von Professor von der Pfordten ist auf dem Umschlag eine Reproduktion des Porträts des Juan de Pareja aus dem Jahr 1650 zu sehen, der als Sklave dem Maler Diego Velázquez diente und von diesem gemalt wurde: ein würdevoller Sklave sozusagen.

Von der Pforten gliedert seinen Vortrag in drei Teile:

1) Historie

In der Antike findet sich der Begriff der Dignitatis: die Würde eines Konsuls oder einer Person mit besonderem Rang bedeutet, dass sie eine besondere Behandlung erwartet. Caesar führt sogar Krieg zur Verteidigung der eigenen Dignitatis. Bei Cicero findet sich der Begriff der inneren Würde. In der Folge taucht der Begriff im Zeitalter der Aufklärung bei Kant auf. Im 20. Jahrhundert findet der Begriff Eingang in die Weimarer Verfassung von 1919 sowie 1948 in die allgemeine Menschenrechtserklärung. 1943/44 wird der Begriff im Kreisauer Kreis im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus diskutiert. 1949 wird dem Grundgesetz die Würde des Menschen in §1 vorausgeschickt. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der Verbrechen des NS Regimes und des Kommunismus. Die Menschenwürde erlangt dadurch eine Spitzenstellung in der Normenhierarchie. Im historischen Rückblick finden sich erste Anmerkungen in Griechenland unter dem Begriff der Seele als der Substanz des Menschen oder auch Psyche als der unsterbliche Kern des Menschen. Bei den Römern spricht Cicero von der heraus gehobenen sozialen Stellung. In der Renaissance entwickelte sich die Vorstellung vom Menschen als Ebenbild Gottes und als Träger von Würde. Sehr empfehlenswert ist das 1496 veröffentliche Buch „Oratio de hominis dignitate“ bzw. auf Deutsch „Rede über die Würde des Menschen“ von Giovanni Pico della Mirandola von der sich Ausschnitte auf der italienischen Wikipedia Seite finden.

Bei Hobbes findet sich im Leviatan der Begriff in dem Sinn von der öffentlichen Würde, die uns der uns vom Staat zugewiesen wird. Samuel von Pufendorf als Naturrechtlicher setzt die Begriffe Würde-Seele-Vernunft auf eine Ebene. „Die Pflicht des Menschen“ von 1673: es ergibt sich in seiner Argumentation eine natürliche Gleichheit der Menschen untereinander: ich bin kein Hund sondern ein Mensch wie du.

Um einen wesentlichen Schritt voran geht es durch Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Insbesondere die dritte Konkretisierungsformel des kategorischen Imperativs beinhaltet die Würde des Menschen in expliziter Form. „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ GdMdS, pdf. S.75/ bzw. Zweitausendeins Ausgabe S.677. Später konkretisiert Kant den Begriff an der Zuordnung bzw. Abstraktion von Preisen: „Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.“ GdMdS, pdf.S.84. bzw. Zweitausendeins Ausgabe S.682. Vernunft und Freiheit bedingen sich gegenseitig, die Tiere sind ausgeschlossen: sie folgen ja den Naturgesetzen und haben die Freiheit nicht. Nietzsche ist der Menschenwürde gegenüber eher skeptisch: er hält sie für „Phantome eines sich vor sich selbst versteckenden Sklaven“. Lassalle betont die ökumenische Würde.

2) Auffassungen

Freiheit als Grundlage von Menschenwürde ist problematisch. Selbstbestimmung zur Umsetzung von Wünschen und Zielen wird zum Metabelang und Oberziel im Sinne eines selbstbestimmten Lebens.

3) Anwendungen

Folter: zweckgerichteter Einsatz von Gewalt: Willen brechen um dem fremden willen zu folgen. Dies ist ein zerstörerischer Einfluss, die Maximalposition ist das Umbringen. Die Sklaverei ist ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen. Belange erster Stufe werden durch den Sklavenhalter bestimmt.

Die kleine Würde befindet sich im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdbewertung. Demütigung als Abwertung durch andere bedeutet Würdeverletzung. Wer ist Träger der Menschenwürde? Sind es Embryos? Neugeborene? Beispiel Entführungsfall Metzler in Frankfurt: Staat-Opfer-Täter Beziehung. Für den Staat gegenüber dem Individuum gibt es keine generelle staatliche Genehmigung zur Gewalt. Verurteilung der verantwortlichen Polizeibeamten.

Es verwundert mich wenig, dass die tiefgründigsten Ausführungen aus der Zeit der Aufklärung stammen und dort insbesondere bei Kant zu finden sind. Erst der sich selbst seiner Vernunft bewusste Mensch kann diese zur Grundlage der Ethik machen und eine darauf basierende, alle Menschen umfassende Menschenwürde begründen und aus dem Verstand ableiten. Die Alltagsrealität bringt Nachrichten von Auffanglagern für Immigranten auf deutschem Boden, die für den allgemeinen Zutritt gesperrt sind und in denen u.a. von Vergewaltigungen berichtet wird: da werden – mal wieder- die Menschenrechte nicht geachtet.