Streitgespräch über einen Gottesbeweis

Der kurze Dialog findet auf Latein statt. Die Existenz Gottes wird durch ein Wunder bewiesen, aber es gibt unerwartete Kritik.

José Arcadio Buendía diskutiert mit Nicanor

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Plage au caraibes: isle de la Martinique

José Arcadio (José= Josef, der biblische Stammvater Israels; Josef von Nazaret, der Zimmermann, Ziehvater Jesu von Nazaret; Josef, einer der vier im Neuen Testament namentlich erwähnten Brüder Jesu) ist ein Suchender über lange Jahre sein Lebens. Er sucht zunächst sein Arkadien (Arkadien = Ort des Goldenen Zeitalters, wo die Menschen unbelastet von mühsamer Arbeit und gesellschaftlichem Anpassungsdruck in einer idyllischen Natur als zufriedene und glückliche Hirten lebten), es soll ein Ort am Meer sein, aber die lange Suche in einem Siedlertreck endet an einem Flussufer inmitten einer intakten Natur mit kristallklarem Wasser. Hier wird Macondo gegründet. Er ist begeistert von den Erfindungen, die fahrende Zigeuner anschleppen. Einer der Truppe wird sein Mephistopheles: Melchiades verkauft ihm stets neue Werkszeuge um seinen Wissensdurst zu stillen. Magnete, die Gegenstände wie von Zauberhand bewegen oder ein Fernrohr, das mit dem Werbeslogan „Die Wissenschaft hat die Entfernungen ausgelöscht“ angepriesen wird, ein Astrolabium, das ihm die Erkenntnis vermittelt, die Erde sei rund. Während seine Frau solches Wissen aus Konvention und Überlieferung nimmt, erarbeitet er sich das Wissen selbst. Ein Alchemie Labor zeigt den Weg zur Herstellung von Gold als dem höchsten Ziel materieller Sehnsucht. Die Daguerrotypie bringt ihn schließlich auf die Idee, die Existenz Gottes photochemisch zu beweisen. Gelingt ihm durch Überlagerung verschiedener solcher Aufnahmen im Haus Gott zu erfassen, sei der Beweis erbracht, andernfalls wäre dann ein für alle Mal der Behauptung von seiner Existenz die Grundlage entzogen. Ein durchaus wissenschaftlich zu nennender Ansatz von These und Antithese mit entsprechender Versuchsanordnung.

Er wird dabei immer verschrobener, entfernt sich mehr und mehr der Konvention am Ort. Schließlich ist die Familie seine unentwegten und aufwendigen Experimente leid und bindet den Alten an einer Kastanie fest: Dort verbringt er seine letzten Jahre unter einem Blätterdach.

Unterdessen zieht Pater Nicanor (Nikanor (Νικάνωρ, „Der Sieger“, lateinisch Nicanor) in Macondo ein, um den Ort für Kirche und Papst zu gewinnen. Er muss die Gemeinde, die bislang im unmittelbaren Dialog mit Gott ohne solchen Beistand gut zurechtkam, zunächst von der Notwendigkeit der Kirche durch einen Gottesbeweis überzeugen. Der Kleriker fügt dazu der langen Reihe von Gottesbeweisen, die von Aristoteles bis zu Thomas von Aquin und letztlich auch Feuerbach reicht, eine neue, südamerikanische Variante hinzu. Es ist dies das Wunder der Elevation, das er der Dorfgemeinschaft mehrfach vorführt. Er trinkt zunächst zeremoniell eine Tasse Kakao und erhebt sich dann langsam mitsamt seinem Stuhl einige Zentimeter über den Boden im Raum. Da Gott offensichtlich dieses Wunder vollbringt, muss es ihn also auch geben. Um ihn dafür zu ehren braucht man eine Kirche im Dorf.

Als er nun zu einer solchen Demonstration vor der Kastanie ansetzt entwickelt sich ein knapper Dialog zwischen dem Alten und Nicanor. José Arcadio sieht völlig unbeeindruckt dem Spektakel zu und kommentiert den vor ihm auf seinem Stuhl langsam abhebenden Popen urplötzlich auf Latein:
„hoc est simplicissimum“ „homo iste statum quartum materiae”
dieses ist sehr einfach zu erklären: der Mensch hat diesen vierten materiellen Zustand erfunden. Pater Nicanor landet bei diesem Kommentar sofort krachend auf dem Boden, lässt sich aber rhetorisch nicht von seinem Ziel abbringen und antwortet:
„nego, factum hoc existentiam Dei probat sine dubio”
Abgelehnt: diese Tatsache beweist zweifelsfrei die Existenz Gottes.

Autor: Robert Seidemann

Studium der BWL in Münster und Göttingen. Planung und Bau solarthermischer Anlagen vom Typ Solar Air Collector zur Belüftung und Beheizung von Sport- und Gewerbehallen. Hobby Romanist und Paddler.

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