Alexis de Tocqueville, Tocqueville au Bas-Canada. (Pdf S. 43/44), Sommer 1831:

Als der Abend gekommen war stiegen wir wieder ins Kanu. Wir vertrauten auf die am Morgen erworbene Geschicklichkeit im Umgang mit dem Boot um allein einen Seitenarm des Saginaw hinauf zu paddeln, den wir vorher nur eingesehen hatten. Der Himmel war klar und wolkenlos, kein Lüftchen regte sich. Der Fluss schob seine Wassermassen durch einen dichten Wald, war dabei aber so langsam, dass es beinahe unmöglich war, zu sagen in welcher Richtung die Strömung ging.
Nach meinem Empfinden muss man, um sich eine angemessene Vorstellung von den Wäldern der Neuen Welt zu machen, einem der Flussläufe folgen, die in ihrem Schatten dahinströmen. Die Flüsse sind hier wie Gleise. Die Vorhersehung hat großen Wert darauf gelegt, diese in die Wildnis zu legen um sie so den Menschen zugänglich zu machen. Wenn man sich durch den Wald einen Weg bahnt, ist der Blick meistens stark begrenzt. Darüber hinaus ist der Weg, auf dem man dann geht, Menschenwerk. Die Flüsse sind im Gegensatz dazu Wege, auf denen man keine Spuren hinterlässt. Ihre Ufer lassen alles erkennen, was eine üppige und sich selbst überlassene Natur an großartigen und wunderbaren Eindrücken zu bieten hat. Die Wildnis lag zweifellos so vor uns, wie sie sich schon dem Anblick unserer Urahnen vor 6000 Jahren dargeboten hat: eine blühende Abgeschiedenheit, köstlich und mit Duft erfüllt, eine herrliche Behausung, ein lebender Palast, für Menschen erbaut, bis zu dem aber der Herrscher noch nicht vorgedrungen war. Das Kanu glitt leicht und geräuschlos dahin. Um uns herum herrschte eine unfassbare Ruhe und majestätische Stille. Wir waren völlig ergriffen und gebannt vom Anblick eines solchen Schauspiels. Unsere Dialoge wurden zunehmend spärlicher. Bald schon tauschten wir unsere Gedanken nur noch flüsternd aus. Schließlich verstummten wir gänzlich, zogen im Gleichklang unsere Paddel durchs Wasser und verfielen dabei beide in eine gelassenen Traumzustand von unaussprechlichem Zauber.
Wie ist zu erklären, dass die menschlichen Sprachen, die Begriffe für alle Arten von Schmerzen gefunden haben, auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen, wenn es darum geht den zartesten und natürlichsten Empfindungen unseres Herzens Ausdruck zu verleihen? Wer vermag jemals verlässlich jene seltenen Augenblicke im Leben auszumalen in denen das eigene Wohlbefinden uns den Weg bereitet zur spirituellen Gelassenheit und wo sich vor unseren Augen ein vollkommenes, universales Gleichgewicht einstellt während der Geist, halb träumend, sich auf dem schmalen Grat zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Realem und Möglichem bewegt. Umgeben von einer wunderbaren Natur atmen wir, mit uns selbst im Reinen und inmitten eines universellen Friedens, eine sanfte und feuchte Luft. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf das gleichmäßige Klopfen in unseren Arterien, von denen jeder einzelne Pulsschlag das Vergehen der Zeit markiert, die uns Schlag um Schlag in die Ewigkeit zu entschwinden scheint. Zahlreiche Menschen haben im Laufe eines langen Lebens vielleicht eine Vielzahl an Jahren vorüberziehen sehen ohne auch nur ein einziges Mal etwas vergleichbares zu empfinden, wie wir es gerade zu beschreiben versuchten. Diese können uns nicht verstehen. Aber es gibt doch einige, davon sind wir überzeugt, in deren Gedächtnis und im Grund deren Herzens etwas anklingt, das sich zu unseren Bildern zusammenfügt und bei denen eine Erinnerung an diese wenigen flüchtigen Stunden erwacht, die weder die Zeit noch die Geschäftigkeit des Alltags auszulöschen vermögen.
Deutsche Übertragung: Robert Seidemann