Prophezeiung

Die Zukunft wird den Buendias an mehreren Stellen in ihren Träumen angedeutet. Das beginnt schon mit José Arcadio, als er noch mit seinem Gefolge durch den Urwald wandert und einen Ort zum Bleiben sucht. „José Arcadio Buendía soñó esa noche que en aquel lugar se levantaba una ciudad ruidosa con casas de paredes de espejo. Preguntó qué ciudad era aquella, y le contestaron con un nombre que nunca había oído, que no tenía significado alguno, pero que tuvo en el sueño una resonancia sobrenatural: Macondo.” S.12. Der Name des Dorfes steht damit fest, was es mit dem Traum auf sich hat, erkennt er nicht. Von ganz anderem Kaliber sind die Weissagungen des Melquíades:  “Melquíades profundizó en las interpretaciones de Nostradamus. Estaba hasta muy tarde, asfixiándose dentro de su descolorido chaleco de terciopelo, garrapateando papeles con sus minúsculas manas de gorrión, cuyas sortijas habían perdido la lumbre de otra época. Una noche creyó encontrar una predicción sobre el futuro de Macondo. Sería una ciudad luminosa, con grandes casas de vidrio, donde no quedaba ningún rastro de la estirpe de las Buendía.” S.24

Die Prophezeiung des Nostradamus, bei der man an ein absehbares Weltende denkt, wird hier auf Macondo bezogen: Die Familie ist ausgestorben, das Dorf ist weg. Es sieht aus wie New York auf den Granitfelsen des Zeltplatzes von Häuptling Mana Hata: eine lichterne Stadt aus Beton, Stahl und Glas. Klar, dass der alte Wahrsager auf einem Dreibein hockt wie ehedem das Orakel von Delphi. Er bezieht die Weissagungen des Nostradamus in seine Weissagungen ein.Nostradamus_1568

Michel de Nostredame, dit Nostradamus, né le 14 décembre 1503 à Saint-Rémy-de-Provence et mort le 2 juillet 1566 à Salon-de-Provence, était un apothicaire français. Pratiquant l’astrologie comme tous ses confrères à l’époque de la Renaissance, il est surtout connu pour ses prédictions sur la marche du monde. Der zum Katholizismus konvertierte Jude lebte in bewegten Zeiten. Er veröffentlichte am 4.5.1550 die „Prophezeiungen“ in Lyon. Sie waren auf Französisch verfasst und jeweils in Zenturien unterteilt, d.h. 100 Verse zu je vier Zeilen (las centurias de Nostradamus, s.u.). Interessant ist die Übersicht der von ihm verwendeten Techniken (wikipedia français):

–          la fureur poëtique : die dichterische Glut

–          le subtil esprit du feu de l’oracle de Delphes : der erhabene Geist des Feuers des Orakels von Delphi

–          l’eau de l’oracle de Didymes : das Wasser des Orakels von Dydima

–          l’astrologie judiciaire, l’art de juger de l’avenir d’après le mouvement des planètes, mais Nostradamus se disait « astrophile » plutôt qu’astrologue : der planetarischen Voraussicht

–          ­les sacrées Écritures, ou les sacrées lettres (bien qu’il n’ait probablement pas possédé une Bible telle quelle, interdite à l’époque aux laïques : il en aurait utilisé des extraits trouvés dans Eusèbe, Savonarole, Roussat et le Mirabilis Liber) : der heiligen Schriften, die Bibel selbst war ihm als Leien nicht zugänglich, also Zuschreibungen und Ausschnitte von Zeitgenossen

–          la calculation Astronomique, selon de prétendus cycles datant d’Ibn Ezra et de bien avant. Nostradamus prétend arrêter ses prédictions à l’an 3797 : Die astronomische Berechnung, nach der er auf er seine Prophezeiungen im Jahr 3797 enden lässt.

–          le songe prophétique : der prophetische Traum

–          l’incubation rituelle : die rituelle Befruchtung

Zum Glück ist es bis zum Jahr 3797 noch ein Weilchen hin, aber der Gedanke an ein vorhersagbares Ende der Welt kehrt permanent wieder und die Prophezeiungen sind dann jedes Mal aufs Neue aktuell, zuletzt bei der Zeitenwende ins dritte Jahrtausend. Später vertieft sich Aureliano in das Wissen der Menschen im Mittelalter und die Prophezeiungen des Nostradamus: “Aureliano no abandonó en mucho tiempo el cuarto de c. Se aprendió de memoria las leyendas fantásticas del libro desencuadernado, la síntesis de los estudios de Hermann, el tullido; los apuntes sobre la ciencia demonológica, las claves de la piedra filosofal, las centurias de Nostradamus y sus investigaciones sobre la peste, de modo que llegó a la adolescencia sin saber nada de su tiempo, pero con los conocimientos básicos del hombre medieval.” S.147 Er muss noch zahlreiche weitere Rätsel lösen und Bücher wälzen, bis er das Geheimnis der Schrift auf den Pergamenten des Melchiades löst. Als er wie versteinert den Ameisen zusieht, wie sie den schon aufgedunsenen Leichnam seines eigenen Sohnes fortschleppen, eröffnet sich ihm der Zugang, er liest als erstes dies:

„El primero de lo estirpe está amarrado en un árbol y al último se lo están comiendo las hormigas.” S.171
Den ersten der Sippe binden sie an einen Baum, den letzten fressen die Ameisen.

Während er den Tod seines Sohnes als des letzten seiner Sippe schon gesehen hat, verfolgt er die Chronik der Buendias in den Prophezeiungen des Melquiades. Gespannt erwartet er das Ende der Weissagungen und damit seinen eigenen Tod.